Das Berner "Zeichen der Erinnerung" (ZEDER) 18.04.2023

Gedenkanlass ZEDER Oberdiessbach: Das Video... 22.06.2023

Einwohnergemeinde, Kirchgemeinde und Schule Oberdiessbach gedenken der Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Marie-Louise Streich berichtet als Betroffene von ihrem Schicksal. Zum Video...
Der Kanton Bern erinnert an die Zeit fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Fünf Teilprojekte ermöglichen die Beschäftigung mit einem schwierigen Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte und richten gleichzeitig den Blick nach vorne, damit sich solches Unrecht nie wieder ereignet. Das Berner Zeichen der Erinnerung wird am 25. Mai 2023 lanciert.

Mehr als 2000 Heim- und Verdingkinder, administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte, Zwangsadoptierte, Psychiatrieopfer und Kinder von Fahrenden leben allein im Kanton Bern noch heute. Zehntausende, deren Schicksal in keiner Chronik, deren Leiden in keinem Lebenslauf Erwähnung fand und findet, sind bereits tot. Die schiere Menge an Betroffenen macht deutlich: Die Praxis der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im 19. und 20. Jahrhundert ist ein ausgesprochen dunkles Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte.

Bern als Armuts- und Bauernstaat
Der Grund für das im Kanton Bern während weit über hundert Jahren verbreitete Verdingwesen lag in der damaligen ausgesprochenen Armuts- und Bauerngesellschaft. Mädchen und Knaben aus kinderreichen, teilweise bitterarmen Verhältnissen – für welche die Gemeinden seit der Reformation finanziell zu sorgen hatten –  sollten als arbeitsame Leihgaben dort aus- und mithelfen, wo in Haus und Hof die tägliche Arbeit ohne Knechte und Mägde nicht bewältigbar war. Dass man dafür blutjunge Kinder einsetzte, schien nicht weiter zu kümmern. Aus Sicht der Behörden wurden damit viel mehr zwei Probleme mit einem Streich gelöst.

Traumatische Geschichten
Es war nicht so, dass allen Betroffenen schweres Leid und Unrecht zugefügt wurde. Und doch: Eine grosse Mehrheit der verdingten und fremdplatzierten Mädchen und Knaben wurde nachhaltig traumatisiert: Verachtung, Ausgrenzung, Ausbeutung, Willkür, massiver Beeinträchtigung physischer und psychischer Integrität bis hin zu schweren sexuellen Übergriffen. Und vergessen wir nicht: Verlassenheitsgefühle, plötzliche und unerwartete Entwurzelung, Einsamkeit und Verlorenheit in jeder Hinsicht haben auch in jenen Fällen zutiefst erschütternde Auswirkungen auf ein Leben, wo das Verdingkind am Ort seiner Fremdplatzierung eine einigermassen menschenwürdige Aufnahme fand.     

Vorreiterinnen und Vorreiter der Aufarbeitung
Es ist dem unablässigen Engagement einer ganzen Reihe von Opfern zu verdanken, dass in den letzten 25 Jahren dieses dunkle Kapitel Schweizer Geschichte ans Licht geholt wurde. Es waren mutige und entschlossene Persönlichkeiten, welche ihre Geschichte öffentlich machten, um Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Solidarität einzufordern.

Die Unmöglichkeit einer Wiedergutmachung
Seither ist viel geschehen. Die vom ehemaligen Heimkind Guido Flury initiierte ‘Wiedergutmachungsinitiative’ sah u.a. einen Fonds vor, aus dem nachweisliche Opfern hätten entschädigt werden sollen. Die Initiative wurde zurückgezogen, als der Bundesrat mit dem "Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981"die Anliegen der Initiative mehrheitlich umsetzte. Laut Gesetz setzt sich der Bund dafür ein, dass die Kantone «Zeichen der Erinnerung» schaffen.

Fünf Teilprojekte
Die Teilprojekte werden in Oberdiessbach in enger Zusammenarbeit mit der Einwohnergemeinde, der Kirchgemeinde, der Schule sowie mit Betroffenen umgesetzt:

1 Eine Erinnerungstafel, die bleibt

Die vom Berner Grafiker Claude Kuhn gestaltete Erinnerungstafel wird bei der Gemeindeverwaltung angebracht.

2 Eine Plakatausstellung, die berührt

Rund 20 Themenplakate können in Oberdiessbach auf einem Dorfrundgang betrachtet werden. Ziel der von Claude Kuhn in Zusammenarbeit mit Neidhart Grafik und dem Büro für Fotografiegeschichte Bern gestalteten Ausstellung ist die Verbindung eines historischen Themas mit konkreten Biografien und zukunftsgerichteten Fragen.

3 Eine Begegnung, die prägt

In enger Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule PH Bern, dem Staatsarchiv des Kantons Bern und dem Austausch- und Informationsprojekt «Erzählbistro» sollen junge Menschen in erster Linie durch die Begegnung mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für Recht und Unrecht in gesellschaftlichen Zusammenhängen sensibilisiert werden. Die Unterrichtsmaterialien stehen den Schulen ab 25. Mai 2023 zur Verfügung. 

4 Eine Webseite, die klärt

Die Website zeder-bern.ch wird ab dem 25. Mai 2023 einzelne Fragen und Themen vertiefter beleuchten, als Themenkiosk für eine breite Öffentlichkeit funktionieren und eine Orientierung geben in der Fülle an vorhandenem Material zu diesem Thema.

5 Ein Tag, der bewegt

Am 25. Mai 2023 um 17 Uhr wird das Berner ‘Zeichen der Erinnerung’ im Schlosshof Köniz von Regierungspräsidentin Christine Häsler offiziell lanciert. 

In Oberdiessbach findet der Gedenkanlass um 19.30 Uhr im Kirchgemeindehaus statt. Marie-Louise Streich berichtet als Betroffene von ihrem Schicksal. Im Anschluss wird der Plakatrundgang eröffnet und die Schülerinnen und Schülern der 9. Klasse laden zum Apéro ein.
 

Klicken Sie auf die Bilder um sie zu vergrössern.

Werner Haug, Insasse eines bernischen Alters- und Pflegeheims, 1972, © Werner Haug

Paul Senn, Administrativ versorgte Jugendliche, Mädchenerziehungsheim Kehrsatz, um 1940, FFV, KMB, Dep. GKS. © GKS

Paul Senn, Verdingbub, Kanton Bern, 1944, FFV, KMB, Dep. GKS. © GKS

Paul Senn, Vater und Geschwister eines Verdingbuben, Oberaargau, 1944, FFV, KMB, Dep. GKS. © GKS